26.01.2023

Regierungsratswahlen – eine Wahl für die familienergänzende Bildung und Betreuung?

Am 12. Februar 2023 wird im Kanton Zürich der Regierungsrat gewählt. Die Wahlen finden in einer Zeit statt, in der unsere Branche enorm gefordert ist – und dies nicht allein wegen des sich weiter zuspitzenden Fachkräftemangels. Um diese Aufgaben anzugehen, braucht es die Politik. 

Doch wie sehen das die Kandidat*innen der Regierungsratswahlen? Wir haben sie gefragt, was aus ihrer Sicht die grössten Herausforderungen in der familienergänzenden Bildung und Betreuung sind und wie sie diese anpacken möchten. Machen Sie sich selbst ein Bild, ob Sie die Antworten der Kandidat*innen überzeugen. 

Mit Ihrer Stimme und den Stimmen aus Ihrem Umfeld können Sie dazu beitragen, dass die Regierungsratswahlen auch eine Wahl für die familienergänzende Bildung und Betreuung werden.

 

Bisherige Kandidat*innen 

Welches sind aus Ihrer Sicht die grössten anstehenden Herausforderungen in der familienergänzenden Bildung und Betreuung und wie würden Sie diese in Ihrem Departement angehen? 

Jacqueline Fehr (SP, Direktion der Justiz und des Inneren)

«Vor exakt 20 Jahren trat das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung in Kraft. Zusammen mit einigen Verbündeten war es mir – damals als Nationalrätin – gelungen, dieses Gesetz auf die Beine zu bringen. Seither hat der Bund die Schaffung von fast 70'000 neuen Kitaplätzen unterstützt. Das macht mich glücklich und auch ein bisschen stolz. 

Im Fokus der familienergänzenden Bildung und Betreuung steht das Wohl der Kinder. Deshalb braucht es bessere Arbeitsbedingungen für die betreuenden Fachpersonen und mehr finanzielle Mittel, um die Qualität der Angebote zu sichern. Um die Elternbeiträge zu senken, müssen sich Kanton und Gemeinden zudem finanziell stärker engagieren. Die familienergänzende Bildung und Betreuung ist eine Weiterentwicklung der Volksschule und gehört damit zum Grundangebot jeder Gemeinde. Wichtig ist deshalb auch der Ausbau des Kitaangebots. Gerade in den dynamischen Agglomerationsgemeinden hinkt dieser oft hinter dem Bevölkerungswachstum her. Es ist wichtig, dass wir diese Gemeinden in der Bewältigung des Wachstums unterstützen. 

Gleichzeitig braucht es weitere Anstrengungen der Arbeitgebenden, damit sich Beruf und Familie gut verbinden lassen. Bei uns in der Direktion unterstützen wir Teilzeitanstellungen. Bei Leitungsstellen schreiben wir konsequent, dass Teilzeit möglich ist. Arbeitnehmende sollen ihre Berufstätigkeit so gestalten können, dass Raum bleibt für Betreuungsaufgaben. Dazu gehört, dass wir das mobile Arbeiten ermöglichen.» 

Mario Fehr (Parteilos, Sicherheitsdirektion)

«Wer unsere Kinder und Jugendlichen heute und in Zukunft ausbildet und betreut, ist für unsere Gesellschaft ausserordentlich wichtig. Darum braucht es für Lehr- und Betreuungspersonen genügend Ressourcen. Im Bildungsbereich darf nicht gespart werden.

Der Fachkräftemarkt ist überall angespannt. Der Kanton Zürich, seine Institutionen und seine Partner sind ein guter Arbeitgeber. Wir fördern die individuelle Aus- und Weiterbildung. 

Bürokratie in all ihren Formen mag ich nicht. Ich setze mich ein für effizientere Abläufe. Die Lehr- und Betreuungspersonen müssen sich vermehrt auf die eigentliche Bildungstätigkeit und -vermittlung konzentrieren können. Elternverantwortung muss bei den Eltern bleiben. Davon profitieren alle – vor allem aber unsere Kinder und Jugendlichen.» 

Martin Neukom (Grüne, Baudirektion)

«Mir ist es ein grosses Anliegen, dass Beruf und Familie miteinander vereinbart werden können. Daher bieten wir in der Baudirektion in vielen Bereichen flexible Arbeitsbedingungen, welche die Vereinbarkeit verbessern. Das sind beispielsweise flexible Arbeitszeiten, Homeoffice oder die Möglichkeit zu reduzierten Anstellungspensen. Die familienergänzende Betreuung kann zusätzlich helfen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.

Die Herausforderungen liegen hauptsächlich bei der Finanzierung von entsprechenden Angeboten in den Gemeinden. Kanton und Gemeinden sollen hier finanzielle Unterstützung bieten. Damit können sich auch Familien mit mittlerem Einkommen eine Kita leisten. Eine entsprechende Vorlage ist im Kanton Zürich in Planung.»

Silvia Steiner (Die Mitte, Bildungsdirektion)

«Gute Startbedingungen in den ersten vier Lebensjahren sind wegweisend für die spätere Entwicklung eines Kindes. Die frühe Förderung ist für mich als Bildungsdirektorin und Regierungsrätin der Mitte ein zentrales Anliegen. Dazu gehören ein gutes und bezahlbares Angebot an familienergänzender Betreuung und die Stärkung aller Familien, unabhängig vom gewählten Familienmodell. Ein Paket an Massnahmen für bessere Angebote im Bereich der frühen Kindheit habe ich im vergangenen Jahr vorgestellt, der politische Prozess ist im Gang.

Gleichzeitig sorgen wir zusammen mit unseren Verbundpartnern für eine zukunftsfähige Ausbildung. Die Beliebtheit des Berufs Fachperson Betreuung, Bereich Kind, ist ungebrochen, die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachleuten ebenso. Die Verweildauer im Beruf muss jedoch verbessert werden.

Die Investitionen in die frühe Kindheit zahlen sich in jedem Fall aus. Wir fördern damit nicht nur die individuelle Entwicklung des Kindes. Mit einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken wir auch unsere Wirtschaft.»

Carmen Walker Späh (FDP, Volkswirtschaftsdirektion)

«Die Angebote für familienergänzende Bildung und Betreuung müssen weiter ausgebaut werden. Um einerseits Kinder im Vorschulalter gezielter zu fördern und damit möglichst Chancengleichheit für alle Kinder zu schaffen und um andererseits die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und den Arbeitskräftemangel zu bekämpfen. Wir können im Arbeitsmarkt nicht auf die jungen Frauen mit Kindern verzichten. Im Gegenteil: Die Unternehmen brauchen die gut ausgebildeten Zürcherinnen! Und zwar in allen Branchen. 

Deshalb habe ich unter anderem die Kampagne «Women in Tech» lanciert – mit dem Ziel, dass mehr Frauen Tech-Berufe wählen, in denen sie heute noch stark untervertreten sind. Studien zeigen: Im Kanton Zürich gibt es ein grosses schlummerndes Potenzial – vor allem bei Frauen, die gerne mehr arbeiten möchten. Hier müssen wir kluge Anreize schaffen, unter anderem mit der Einführung der Individualbesteuerung auf nationaler Ebene in Kombination mit familienergänzenden Angeboten in den Kantonen. Damit insbesondere Frauen ihr Pensum erhöhen und doppelt verdienende Ehepaare nicht mehr steuerlich bestraft werden. Davon könnte auch die ausserfamiliäre Kinderbetreuung selbst profitieren, denn auch sie leidet unter dem Arbeitskräftemangel.

Als Volkswirtschaftsdirektorin bin ich im ständigen Austausch mit Unternehmen und ermutige diese auch, wo möglich und sinnvoll, eigene Angebote für Kinderbetreuung den Mitarbeitenden zur Verfügung zu stellen.»

 

Auf ein Statement verzichtet haben: Natalie Rickli (SVP, Gesundheitsdirektion), Ernst Stocker (SVP, Finanzdirektion)

 

Neue Kandidat*innen 

Welches sind aus Ihrer Sicht die grössten anstehenden Herausforderungen in der familienergänzenden Bildung und Betreuung und wie würden Sie diese nach Ihrer Wahl in den Regierungsrat angehen? 

Peter Grünenfelder (FDP)

«Handlungsbedarf sehe ich vorab bei der Aus- und Weiterbildung, um dem Fachkräftemangel bei der familienergänzenden Bildung und Betreuung wirksam zu begegnen. Und auch aufgrund meiner aktuellen Erfahrungen als junger Familienvater kämpfe ich dezidiert für eine Flexibilisierung der kantonalen Vorschriften, weil bürokratische und teilweise praxisuntaugliche Behördenvorgaben die Bereitstellung und den Betrieb von Betreuungsplätzen für unsere Jüngsten unnötig erschweren.»

Anne-Claude Hensch (AL)

«Kindertagesstätten (Kitas) mit gut ausgebildetem und fair entlöhntem Personal tragen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei. Sie helfen, Kinder aus allen Schichten zu fördern, und führen zu mehr Chancengerechtigkeit. Die zwei grössten Herausforderungen im Kanton Zürich sind: Es gibt erst in zwei Dritteln der Gemeinden ein Angebot an Kitaplätzen und die Elternbeiträge für die Kitaplätze sind zu hoch. Studien zeigen zudem, dass Eltern im Vergleich mit anderen Ländern überdurchschnittlich viel an die Betreuungskosten bezahlen.

Als Regierungsrätin würde ich umgehend auf folgende Punkte hinarbeiten: Einerseits braucht es eine wirksame gesetzliche Verpflichtung der Gemeinden, Kitaplätze anzubieten. Andererseits muss die Finanzierung der Kitaplätze auf mehrere Standbeine verteilt werden. Neben den Gemeinden sollen künftig der Kanton wie auch die Wirtschaft einen Anteil an der Finanzierung der Kitaplätze bezahlen analog dem Modell im Kanton Freiburg. Dadurch könnte die Kostenbeteiligung der Eltern so gesenkt werden, dass sich alle Eltern Kitaplätze leisten können.

Die Finanzierung soll so ausgestaltet werden, dass die Löhne der Angestellten angehoben werden können und ein Spielraum vorhanden ist, um das Angebot qualitätsvoll weiterzuentwickeln. Dazu zählen auch die Mehrkosten von Kindern mit Behinderungen im Kanton. Diese sollen vollumfänglich finanziert werden, um einen diskriminierungsfreien Zugang zu Kitas im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu gewährleisten.»

Benno Scherrer (GLP)

«Als Grünliberaler ist mir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Kernanliegen. Es ist eine wirtschaftliche und eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit. Ich will genügend und erschwingliche Kinderbetreuungsplätze für alle und überall im Kanton. Die familienergänzende Betreuung braucht es, damit Familien frei entscheiden können, wie sie sich organisieren möchten. Und sie ermöglicht beiden Elternteilen erwerbstätig zu sein, was den Fachkräftemangel lindert und somit den Wirtschaftsstandort stärkt.

Als Grünliberaler will ich Familien gezielt und bedarfsorientiert unterstützen und Fehlanreize beseitigen, damit sich Erwerbsarbeit auch wirklich lohnt und der Zweitverdienst nicht gleich von den hohen Kitakosten und der Steuerprogression wieder weggefressen wird. Der Kanton muss sich an der familienergänzenden Kinderbetreuung finanziell stärker beteiligen und die Eltern entlasten. Ein wichtiger Baustein ist die Abzugsfähigkeit der effektiven Kinderbetreuungskosten bei den Steuern. Hier stehe ich hinter dem neuen Abzug von CHF 25’000.

Ich setze mich für Betreuungsgutscheine für die familienergänzende Kinderbetreuung ein, die vom Kanton unterstützt werden. Eltern wird so ermöglicht, frei zu entscheiden, an welchem Ort und in welcher Kita sie ihre Kinder betreuen lassen möchten. Und nicht zuletzt braucht es auch hier eine Ausbildungsoffensive, damit in Zukunft genügend qualifiziertes, motiviertes Personal für diese wichtige – und schöne – Arbeit zur Verfügung steht.» 

Priska Seiler Graf (SP)

«Die familienergänzende Bildung und Betreuung steht vor gewaltigen Herausforderungen. Zwei Jahrzehnte wurde zwar in den Ausbau von Betreuungsplätzen investiert – mit Erfolg! Aber dieser Ausbau brachte neue Herausforderungen: Für die vielen neuen Plätze fehlt das Betreuungspersonal, vor allem Fachkräfte, aber auch Lernende und Studierende. Es muss endlich die Qualität ins Zentrum gerückt werden. Qualität ist kein «Nice-to-have», sondern ein Muss! Dafür braucht es für die Betreuungspersonen gute Arbeitsbedingungen und ein Betreuungssetting, das dem Alters- und Entwicklungsstand der Kinder gerecht wird.

Der Bund ist dran, die Kosten für die Eltern zu senken. Das ist ein wichtiger Schritt. Im Gleichschritt müssen der Kanton Zürich und seine Gemeinden in die Qualität investieren. Eltern und Kinder in Kitas, Tagesfamilien und Horten brauchen nicht einfach billige Plätze, sondern vor allem auch gute Plätze. Ganz konkret heisst das: Es braucht finanzielle Investitionen und gesetzliche Rahmenbedingungen, die dies verbindlich machen. Im Zentrum der politischen Entscheide muss zwingend die chancengerechte Entwicklung und Förderung des Kindes stehen. Dafür würde ich mich als Regierungsrätin gerne einsetzen.» 

Auf ein Statement verzichtet haben: Daniel Sommer (EVP)