07.12.2023

Medienmitteilung: Umfrage in Kita-Branche: Ungenügende Finanzierung ist die Achillesferse

Jede dritte Kindertagesstätte schreibt Verluste. Zudem liegt die Austrittsquote von Mitarbeitenden in der familienergänzenden Bildung und Betreuung mit 30 Prozent dreimal höher als üblich. Diese sind einige der Ergebnisse der erstmaligen kibesuisse-Umfrage zu den statistischen Grundlagen in Kindertagesstätten. Aus Sicht von kibesuisse müssen deshalb die verantwortlichen Behörden die Finanzierungs- und Subventionsmodelle so anpassen, dass ein kostendeckendes Arbeiten möglich wird und die Betreuungspersonen in der Branche verbleiben.

Zum ersten Mal nationale Indikatoren für die Kita-Branche 

In der Schweiz fehlen nach wie vor statistische Grundlagen zur familienergänzenden Bildung und Betreuung auf nationaler Ebene. Um diese Lücke zu schliessen, hat der Verband Kinderbetreuung Schweiz (kibesuisse) das Forschungsinstitut INFRAS im Frühjahr 2023 beauftragt, zum ersten Mal schweizweit betriebswirtschaftliche Kennzahlen in Kindertagesstätten zu erheben. Diese Branchenindikatoren liegen nun vor. 

Grosse Unterschiede bei der Auslastung 

In den 621 Kitas, die an der Umfrage teilgenommen haben, werden 31'632 Kinder betreut. Durchschnittlich sind dies 51 Kinder pro Kita. Die Kitas sind dabei zu 82 Prozent ausgelastet. Die Auslastung ist das Verhältnis zwischen den tatsächlich angebotenen Plätzen einer Kita und den gewichteten Kindern, die in einer Kita betreut werden. So werden Babys und Kleinkinder bis 18 Monate in der Regel mit dem Faktor 1,5 gerechnet. Die Auslastung bezieht sich auf die letzte Novemberwoche im Jahr 2022, die als Referenzwert für die Umfrage genommen wurde. Bei der Hälfte der Kitas entspricht dieser Wert dem jährlichen Durchschnitt, beim Rest liegt je ein Viertel der Kitas tiefer beziehungsweise höher. 

Einstiegslohn für Betreuungspersonen erhoben 

Der Brutto-Jahreslohn einer Fachperson Betreuung mit EFZ-Abschluss beträgt beim Berufseinstieg und bei einem 100-Prozent-Pensum über alle Kitas gerechnet durchschnittlich 56'200 Franken. Gewisse Regionen wie die Zentralschweiz oder die Ostschweiz sowie ländliche Kitas liegen unter diesem durchschnittlichen Einstiegslohn, Grossregionen wie Espace Mittelland oder Zürich sowie städtische Kitas liegen darüber. 

Jede zweite Betreuungsperson hat keine abgeschlossene pädagogische Ausbildung 

29 Jahre jung sind im Durchschnitt die Betreuungspersonen in den befragten Kitas. In 84 Prozent der Kitas weisen sie ein Durchschnittsalter zwischen 20 und 34 Jahren auf. Dies korreliert mit einem anderen Ergebnis der Umfrage, gemäss dem durchschnittlich rund die Hälfte des Betreuungspersonals (noch) keine abgeschlossene pädagogische Ausbildung hat. Die kibesuisse-Erhebung bestätigt damit das Resultat aus der diesjährigen Studie der Hochschule Luzern. Dieses Ergebnis zeigt auch, dass die Organisationen der familienergänzenden Bildung und Betreuung aufgrund der zu tiefen Finanzierungsmodelle für ihr Überleben auf unausgebildete Mitarbeitenden angewiesen sind. Im Gegensatz dazu erlauben es die Subventionierungsmodelle in der Romandie und im Tessin eher, Betreuungspersonen mit tertiärem Abschluss anzustellen. kibesuisse wünscht sich auch für die Deutschschweiz mehr Kitas, in denen Betreuungspersonen mit tertiärem Abschluss arbeiten, denn aktuell ist in jeder dritten Kita mindestens eine solche Person angestellt. 

In Zürich gibt es am meisten offene Stellen 

Die Umfragedaten zeigen, dass pro Kita durchschnittlich 0,4 Stellen nicht besetzt sind. Bei 621 teilnehmenden Kitas sind dies hochgerechnet 248,4 offene Stellen. Blickt man auf die jeweiligen durchschnittlichen offenen Vollzeitäquivalenten von 0,32 für ausgebildete Betreuungspersonen und 0,35 für solche ohne abgeschlossene Ausbildung, so ist Zürich in beiden Fällen überdurchschnittlich vom Personalmangel betroffen – 0,43 und 0,52 lauten die entsprechenden Werte. Alle anderen Grossregionen sind entweder nahe an den Durchschnittswerten oder deutlich darunter. Insgesamt 72 Prozent der Kitas benötigen zwischen einem und sechs Monaten, um eine Stelle neu zu besetzen. Lediglich fünf Prozent der befragten Kitas hatten im Erhebungsjahr keine offenen Stellen zu besetzen. 

Austrittsquote dreimal so hoch wie üblich 

Über alle Kitas hinweg haben im Jahr 2022 durchschnittlich 2,0 ausgebildete Betreuungspersonen und 1,6 Personen ohne abgeschlossene Ausbildung die jeweilige Kita verlassen. Dies entspricht einer Austrittsquote von 30 Prozent. Diese Zahl darf nicht mit der in der Umfrage nicht erhobenen Berufsausstiegsrate verwechselt werden, denn es ist möglich, dass die austretenden Betreuungspersonen anschliessend eine Stelle in einer anderen Kita annehmen. Allerdings sollte erfahrungsgemäss eine «normale» Fluktuationsrate bei zehn Prozent liegen. Die erhobene Quote ist deshalb hoch, sogar im Vergleich zu den Pflegefachpersonen beispielsweise, wo laut Nationalem Versorgungsbericht des Obsan die Austrittsrate des Personals in Spitälern 19,1 Prozent und diejenige des Personals in Alters- und Pflegeheimen 21,9 Prozent beträgt. Die Austrittsquote liegt bei den ausgebildeten Betreuungspersonen mit 33 Prozent höher als beim Personal ohne abgeschlossene Ausbildung mit 29 Prozent. Dies bestätigt die bisherige Annahme, dass die Mitarbeitenden erst nach abgeschlossener Ausbildung abwandern. 

Personalaufwand frisst Ertrag weg 

In der Umfrage wurden auch Daten zu den Finanzen der Kitas erhoben. Der Personalaufwand macht mit durchschnittlich 76 Prozent den grössten Posten beim Gesamtaufwand aus. Dass deshalb den Kitas nicht viel an Ertrag bleibt, verdeutlicht das Verhältnis zwischen Personalaufwand und Gesamtertrag. Dieses beträgt durchschnittlich 84,9 Prozent, im Espace Mittelland liegt er gar bei 91,1 Prozent. Folgerichtig haben einzig 39 Prozent der befragten Kitas mit Gewinn und 14 Prozent ausgeglichen abgeschlossen. Ein Drittel hat dagegen mit Verlust abgeschlossen und vergleichsweise hohe 13 Prozent wollten keine Angaben zum Abschluss machen. 

Personal und Finanzen im Fokus 

Mit Blick auf diese Zahlen ist es wenig überraschend, dass die drei grössten, von den Befragten genannten Herausforderungen im betrieblichen Alltag allesamt das Personal betreffen: die Krankheitsausfälle mit 72 Prozent, das Finden von Personal mit angemessener Qualifikation mit 63 Prozent und die Besetzung ausgeschriebener Stellen mit 49 Prozent. Nach dem Personal sind es zusammengerechnet die Herausforderungen in Bezug auf die Finanzen. 30 Prozent der Kitas haben angegeben, dass das in der Gemeinde beziehungsweise im Kanton jeweilige gültige Finanzierungsmodell kein kostendeckendes Arbeiten erlaubt. Die finanziellen Engpässe und Defizite sowie die Auslastungsprobleme wurden mit je 22 Prozent erwähnt. 

Klare Forderungen des Verbandes 

Die erhobenen Daten geben damit sehr gut Aufschluss, an welchen Stellen der Hebel in der familienergänzenden Bildung und Betreuung anzusetzen ist. Einerseits fordert kibesuisse Finanzierungsmodelle, welche es den Kindertagesstätten ermöglichen, kostendeckend zu arbeiten. Es darf nicht sein, dass jede dritte Kita Verluste schreibt. Diese Finanzierungsmodelle sind auch verantwortlich dafür, dass die Branche auf unausgebildete Betreuungspersonen angewiesen ist. 

Andererseits verlangt kibesuisse, dass die zuständigen Behörden die Finanzierungsmodelle so ausgestalten, dass mehr Betreuungspersonen mit tertiärem Abschluss angestellt werden können. Im Sinne einer Qualitätsentwicklung umfasst dies zum Beispiel die Subventionierung der Aus- und Weiterbildung von Betreuungspersonen. So verbessern sich nicht nur ihre beruflichen Perspektiven, sondern sie werden auch zum Verbleib in der Branche ermutigt – mit positiven Auswirkungen auf die Qualität und die Kontinuität. Dies dürfte sowohl die Austrittsquoten senken als auch die Stellenbesetzung entspannen. 

Angaben zu den teilnehmenden Trägerschaften und Kitas

Insgesamt haben 332 Trägerschaften an der Umfrage teilgenommen, was einer Rücklaufquote von 24 Prozent entspricht. Vier von fünf dieser Trägerschaften führen eine einzelne Kita. Die drei grössten Trägerschaften haben ein Sechstel aller 621 teilnehmenden Kitas unter sich. Die Hälfte dieser 621 Kitas kommt aus den Kantonen Zürich und Bern; nimmt man den Aargau und Luzern dazu, stammen zwei Drittel aus bloss vier Kantonen. Im Vergleich zum prozentualen Anteil der Bevölkerung sind die Ostschweiz, das Tessin und die Région lémanique untervertreten. Die städtischen Kitas sind mit 78 Prozent deutlich übervertreten, lediglich 7 Prozent sind auf dem Land zu finden und der Rest in sogenannten intermediären Gebieten.

Zur Medienmitteilung  

Zum Kurzbericht von INFRAS: «Erhebung statistische Grundlagen in der Kita-Branche»